„Bleiben wir wachsam!“

Gedenkrede des Emder Oberbürgermeisters Tim Kruithoff anlässlich des 80. Jahrestages der Zerstörung Emdens am 6. September 1944, gehalten in der Johannes a Lasco Bibliothek.
Eine Dokumentation.

Am 1. September 1939, als das nationalsozialistische Deutschland unter der Führung von Adolf Hitler in Polen einmarschierte, begann der Zweite Weltkrieg. Dieser Angriff erfolgte ohne formelle Kriegserklärung und markierte den Beginn eines globalen Konflikts. Zwei Tage später, am 3. September 1939, erklärten Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg, was den europäischen Kriegsschauplatz ausweitete und letztlich zu einem weltumspannenden Krieg führte

Die Rede von Oberbürgermester Tim Kruithoff wurde begleitet von Bildern, die das Ausmaß der Zerstörung zeigten

Fünf Jahre später, am 6. September 1944 – heute vor 80 Jahren – wurde unsere Heimatstadt durch einen groß angelegten Bombenangriff der Alliierten zerstört. Die Zerstörung hinterließ tiefe Wunde und prägt die Erinnerung der Menschen unserer Stadt bis heute.

Das Ostfriesische Landesmuseum zeigt aktuell die vielbeachtete Sonderausstellung „Helma Sanders Brahms – ihre Filme, ihr Leben“, die ich Ihnen sehr ans Herz legen möchte. Helma Sanders-Brahms wurde am 20. November 1940 in Emden geboren. Sie war eine der wichtigsten deutschen Filmemacherinnen. Einer ihrer bekanntesten Filme ist „Deutschland, bleiche Mutter“ von 1980 mit Eva Mattes. Er handelt davon, wie die NS-Zeit und die Nachkriegszeit eine ganze Generation von Frauen verstört hat. Helma hat aus ihrer persönlichen Warte heraus ihre eigene Familiengeschichte mit der Vergangenheit des Landes aufgearbeitet. Das kam nicht überall gut an. Und doch: Das Persönliche, das sie erzählt hat, ist etwas Kollektives gewesen – auch, wenn man das nicht aussprach. Eben nicht nur Helma und ihre Mutter waren betroffen von dieser Riesenkatastrophe, die das deutsche Volk Europa und sich selbst zugefügt hat.

Ich zitiere Helma Sanders-Brahms: „Diese Trümmer haben meine Kindheit geprägt. Ich bin in Trümmern groß geworden. Und Trümmer haben für mich etwas Ungeheures. Trümmer sind etwas Zerstörtes, was aber noch Spuren von dem trägt, was zerstört wurde. Trümmer sind aber auch etwas, wo jede denkbare Zukunft möglich ist.“

Es war der 6. September, der für immer im kollektiven Gedächtnis unserer Heimatstadt erhalten bleibt. Viele, die diesen Tag miterlebt haben, konnten erst nach Jahren darüber sprechen, andere gar nicht. Glücklicherweise haben wir heute, da wir die Zerstörung nur noch aus der zeitlichen Distanz wahrnehmen können, Augenzeugenberichte. Diese wurden zusammengetragen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt, allen voran den Aktiven des Bunkermuseums, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, zu bewahren, zu erinnern und für die Zukunft zu mahnen.

Ich freue mich sehr, dass heute Lara Bohlen und Annalena Doden, zwei Schülerinnen der BBS 2, mit mir die Gedenkveranstaltung gestalten. Schon vor gut 10 Jahren haben Schülerinnen und Schüler der BBS 2 mehr als 20 Zeitzeugen interviewt, und diese Interviews sind in einer Schriftenreihe des Stadtarchivs für die Ewigkeit dokumentiert. Einen Zeitzeugenbericht hat Lara uns eben schon vorgetragen und den zweiten werden wir nach der Gedenkrede hören.

Aber auch der Wiederaufbau war ein Thema, das gezeigt wurde.

2014 führte die Rampe mit viel Laienspieltheaterunterstützung das Theaterstück „6. September 1944“ des unvergessenen Werner Zwarte auf. In der Hauptrolle der 11-jährigen Marianne damals übrigens, Antje Zents, die auch die beiden Zeitzeugeninterviews die wir heute gehört haben bzw. noch hören, dokumentiert hat. Es ist wichtig, dass sich junge Menschen mit der Geschichte und dem Gedenken auseinandersetzen und es ist schön, dass ihr die Betrachtungen und Blickwinkel eurer Generation heute hier mit uns teilt.

Ähnliche Augenzeugenberichte, wie die aus Emden, kennen wir auch aus Städten in Italien und dem besetzten Frankreich, aus Neapel und Genua, Le Havre und Royan. Wir kennen sie aus den Städten Europas, die von der deutschen Luftwaffe zerstört wurden – aus Warschau und Rotterdam; aus London, Coventry und Liverpool; aus Belgrad, Leningrad und vielen anderen mehr. Und wir kennen sie aus Guernica, der baskischen Stadt, die deutsche Kampfflugzeuge der „Legion Condor“ schon 1937 in Schutt und Asche gelegt hatten. Wolfram von Richthofen notierte damals knapp in sein Tagebuch: „Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern, buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht. […] Bombenlöcher auf Straßen noch zu sehen, einfach toll.“ Menschenverachtender Zynismus, der in die Katastrophe führte.

Die deutsche Luftwaffe auf der einen, britische und amerikanische Bomber auf der anderen Seite zerstörten im Verlauf des Krieges hunderte Städte in fast allen Ländern Europas. Sie zogen eine bis dahin noch nie dagewesene Spur der Verwüstung, die von Großbritannien über Deutschland bis nach Russland reichte.

Vor 30 Jahren interviewte die Redakteurin, Jana Miesen, von der Emder Zeitung zwei Tage lang den kanadischen Bomberpiloten Glenn Watson in Kanada in der Nähe von Vancouver. Als Officer Glenn Watson den Angriff gegen Emden am 6. September flog, war er 22 Jahre alt oder sagen wir besser jung. Er begrüßte die Redakteurin mit dem Satz: „50 Jahre habe ich versucht zu vergessen und jetzt kommt ihr.“

Es wird gebaut in Emden. Nur das Rathaus ist nach wie vor eine Ruine

6. September 1944 – Stützpunkt Skipton on Swale an der englischen Ostküste. 17 Mechaniker checken an diesem Morgen den Bomber „Mother“ durch – tägliche Routinearbeit. Später, nach dem Essen, besteigen sieben junge Männer, fünf Kanadier, ein Amerikaner und ein Schotte den Bomber „Mother“, bereiten sich auf den Ernstfall vor, den sie schon 17 Mal gemeinsam durchlebt haben. Der Feind – das ist Nazi-Deutschland. Die Maschine hebt ab. Nacheinander starten nun 18 Flugzeuge in Richtung Osten. Sie fliegen nicht – wie die Amerikaner oder die Engländer in Formation. Jeder ist auf sich gestellt.

Das Ziel ist diesmal das Herz von Emden, eine Stadt an der deutschen Nordseeküste. Keiner von den 18 kanadischen Fliegern weiß, warum sie ausgerechnet diese Stadt ansteuern. Wurde bis dahin den Piloten bei jedem Einsatz das genaue Ziel genannt, so war es diesmal nicht so. Was er empfunden habe, will die Redakteurin damals von ihm wissen: „Wenn Sie so wollen – sind wir nichts weiter als ein Taxifahrer, und dieser Angriff war ein Auftrag.“

Als der Officer die Stadt um 18.30 Uhr nach einem Kühlerausfall erreicht, brennt sie bereits lichterloh. Die Stadt selbst ist für die Crew an Bord nicht mehr zu sehen, sie ist in dicke Rauchschwaden gehüllt. Der Rückflug vergeht ohne Zwischenfälle. Watson greift zu seinem Logbuch, setzt sich an den Tisch und taucht die Feder in das grüne Tintenfass. Grün steht für Tagflüge. Er schreibt: „Emden, Deutschland, Ölkühler ausgefallen, keine Gegenwehr, Tageslicht, wackelig“. Wenige Tage nach dieser Eintragung bestieg Watson wieder seinen Bomber. Es ging nach Dortmund …

Die Geschichte der totalen Zerstörung am 6. September 1944 ist aus allen Blickwinkeln vielfach dokumentiert und aufgearbeitet worden, doch vorstellbar oder gar zu begreifen, ist sie für uns bis heute nicht. Als der Zweite Weltkrieg im Mai 1945 mit der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus endete, da lagen weite Teile des Kontinents unter Asche und in Trümmern. Dies gilt im Besonderen auch für unsere Heimatstadt. Seit dem 13. Juli 1940 gab es 80 Bombenangriffe auf Emden, der Befehl am 6. September 1944 an die kanadischen Besatzungen lautete „Stadt zerstören“. Das Inferno fordert 47 Opfer.

Und so war es vorher: die Große Kirche Emden mit dem markanten Turm im 19. Jahrhundert

Die 181 Bomber der britischen Royal Airforce und der Royal Canadian Airforce warfen – in nicht einmal 20 Minuten – tausende Bomben ab – 1500 Sprengbomben, 10 000 Brandbomben und 3000 Phosphorbomben. Die Bomben auf Emden während des Zweiten Weltkrieges kosteten 409 Menschen das Leben, zerstörten mehr als 3000 Gebäude und beschädigten mindestens 1000 weitere schwer – das ehemals so stolze historische Rathaus, das alte Telegrafenamt – mehr als 500 Jahre prächtiger Baugeschichte und identitätsstiftendem Reichtum wurden in wenigen Minuten dem Erdboden gleichgemacht. 21 000 Menschen verloren ihre Wohnungen, Häuser und alles, was sie besaßen und nicht in ihren Koffern in die Bunker tragen konnten. Das ehemalige „Venedig des Nordens“ wurde im Feuersturm zu einer brennend-grauen Trümmerlandschaft. Bürgerinnen und Bürger wurden schwer traumatisiert, geschädigt und blieben verloren zurück. Das Selbstverständnis und die Identität von uns Emderinnen und Emdern wurde am 6. September in unserer tiefsten Seele schwer erschüttert.

Lasst uns in dieser Stunde innehalten und uns daran erinnern, dass der Frieden, den wir heute wenigstens in unserem Land genießen, nicht selbstverständlich ist. Er wurde auf den Trümmern der Vergangenheit aufgebaut, und es liegt an uns, ihn zu bewahren und aus den Fehlern der Geschichte zu lernen. Möge dieses Gedenken uns daran erinnern, dass die Dunkelheit niemals das letzte Wort haben darf, dass auf jede Nacht ein Morgen folgt und dass unsere Seehafenstadt Emden wieder aus den Trümmern erwuchs, weil die Menschen zusammengestanden haben.

Heute gedenken wir derer, die ihr Leben verloren haben, die gelitten und alles geopfert haben – in Emden, in Deutschland, in Europa. Wir denken an die Familien, die den Verlust ihrer Liebsten ertragen mussten. Und wir gedenken aller Opfer von Völkermord, Krieg und Gewalt. Aber wir gedenken auch derer, die nach dieser Zerstörung den Mut fanden, weiterzumachen, die diese Stadt wieder aufgebaut haben und die Hoffnung am Leben hielten.

Und – meine Damen und Herren – das Leid und Elend, an das wir uns heute erinnern, ist für viele, viele Menschen auf der Welt brutaler Alltag und furchtbare Realität: Ukraine, Gaza, Israel, Syrien, Afghanistan, Jemen, Mali und und und – das sind nur wenige Beispiele – für Orte an denen diese Zerstörung alltäglich – vielleicht genau in diesem Moment passiert. Beziehen wir all jene in unser Gedenken und den Wunsch nach Frieden mit ein.

Ich bitte Sie, sofern es Ihnen körperlich möglich ist, sich zu erheben und einen Augenblick in Stille zu gedenken.
SCHWEIGEMINUTE
Herzlichen Dank, dass Sie sich zum Gedenken erhoben und einen Augenblick Stille gehalten haben.

Zum Neujahrsempfang in diesem Jahr habe ich gesagt – ich zitiere: „Achten wir auf unsere Demokratie. Halten wir in nächster Zeit ein wachsames Auge darauf. 2024 wird ein Jahr der Bewährung. Ich habe gerade das Gefühl in Deutschland geht etwas kaputt und ich bin mir dabei nicht sicher, ob man das reparieren kann.“

38 Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 24 Jahren haben am 1. September 2024 in Thüringen AfD gewählt, prozentual mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Und nie war die Wahlbeteiligung in Sachsen höher – nicht einmal bei den ersten Landtagswahlen am 14. Oktober 1990. Die Annahmen, ja die Hoffnung vieler, dass eine hohe Wahlbeteiligung die politische Mitte stärker machen würde, hat sich nicht erfüllt. Vieles bleibt dabei für mich ein Rätsel. Ich verstehe es nicht. Viele Erklärungsversuche, die ich in den letzten Tagen gehört habe, sind sicherlich richtig oder mir fehlt der Griff zum Anpacken. Wie ist es möglich, dass so viele Menschen, die keine Nazis sind und auch nicht als solche gebrandmarkt werden sollten, AfD wählen, obwohl es in Thüringen den in den Nationalsozialismus verliebten Geschichtslehrer und Parteiführer Bernd Höcke gibt?

Fassaden in vielen Baustilen kennzeichneten das urbane Bild der Stadt

Meine Damen und Herren, unser Land hat nach den Schrecken des Krieges einen neuen Weg eingeschlagen. Deutschland ergriff die Chance, die sich nach der Befreiung von der Nazi-Diktatur bot, und bemühte sich um Versöhnung mit den Ländern, die es überfallen hatte. Mit unserem Jugendworkcamp waren wir in diesem Jahr, trotz der fehlenden Unterstützung der Bundeswehr, aufgrund der für Frankreich geltenden Terrorwarnung in der Normandie, wo der 80. Jahrestag des D-Day begangen wurde.

Es grenzt für mich jedes Mal wieder an ein Wunder zu sehen, wie eng die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland in mehr als einem halben Jahrhundert, die wir nach Saint Dèsir fahren, geworden ist. Das ist ein großer Schatz. Nicht nur das eigene Leid, sondern auch das der anderen zu sehen, baut Brücken; gemeinsames Gedenken führt zu Verständigung und Miteinander.

Deutschland ist heute ein demokratisches Land, das die Menschenrechte hochhält und das in der Welt geachtet wird. Doch all das ist zerbrechlich, wir dürfen es nicht für selbstverständlich erachten. Die Zugewinne der extremen rechten und linke Seite ist kein Regionalproblem. Und was wäre, wenn nach der ganzen Diskussion um Koalitionen und Unvereinbarkeiten, bei den nächsten Wahlen die AfD noch stärker abschneiden würde, so dass sie von einer Landesregierung nicht mehr auszuschließen wäre?

Die extreme Rechte weist gerade triumphierend darauf hin, dass mit den Forderungen des Oppositionsführers Friedrich Merz sowie dem Maßnahmenpaket der Ampel zur Begrenzung der irregulären Einwanderung wesentliche Punkte der AfD aufgegriffen worden. Und das stimmt – und das tut saumäßig weh.

Müssen wir uns in der Mitte vielleicht eingestehen, dass wir auf die Warnungen der Menschen nicht gehört haben? Müssen wir uns eingestehen, dass das Land mit der Frage der Migration an manchen Orten überfordert wurde? Dass es haarsträubende Fallbeispiele gibt, wo Menschen über eine lange Zeit Nachbarschaften terrorisieren, sich an keine Regeln halten, mit Messern in der Fußgängerzone Menschen bedrohen und wir als Staat ohnmächtig sind und keine Antworten haben? Das ist den Menschen nicht zu vermitteln.

Regierungen in Bund, Land und Kommune haben das Recht und die Pflicht, Entscheidungen zu treffen, die tief in das Leben der Menschen eingreifen. Die gilt für Soziales, Steuern, Verkehrsführung, Energie, Klima, die Militärpolitik und viele andere Lebensbereiche. Und dabei sind klare Entscheidungen viel besser als Dauerkrach, Kurzfristigkeit und Durchwurschtelei. Allerdings – und das ist mir persönlich noch nie so greifbar praktisch klar geworden wie in diesen Zeiten: Das Regieren gegen den Willen der großen Mehrheit, funktioniert in einer Demokratie nicht. Alle Themen werden bei Wahlen zur Abstimmung gestellt – und dafür muss Politik sie überzeugend vorbereiten und gut kommunizieren. Wenn das ausbleibt, dann verliert die Mitte und dann gewinnt die extreme Rechte – und dann wird es noch öfter Wahlergebnisse wie in Sachsen und Thüringen geben – nur dann darf sich niemand mehr wundern.

Die deutsche Demokratie muss endlich wieder beweisen, dass Dinge auch gelingen können. Die Bürokratie, kaum noch jemand in den Verwaltungen und in der Politik, der oder die bereit ist, zu entscheiden und damit Verantwortung zu übernehmen. Vielleicht falsch zu entschieden, sogar zu scheitern. Die einzige Botschaft nach Solingen scheint zu sein: Wir sind wehrlos. Selbst ein Volksfest ist nichts Harmloses mehr, auch dort ist der Mensch nur Spielball. Herumgekickt von Mächten, die stärker sind als eine freie, zivile Gesellschaft, Klimawandel, Terror, die Bluttat eines aus Syrien nach Deutschland geflüchteten Menschen, der in unserem Rechtsstaat Schutz genießt. Der Krieg in Europa und in Israel.

Oder nehmen wir die triviale, banale Seite der Ohnmacht: Als Trigger wirkt das Erleben der Auswirkungen der maroden Deutschen Bahn, der Zustand unserer Schulen, das fehlende Geld für freiwillige Leistungen in unseren Kommunen, endlose Formulare, fehlendes Sicherheitsgefühl, nicht vorhandene Kinderbetreuungsplätze und das Warten auf die Energieberatung.

Auch 19. Jahrhundert: die Wallbrücke bei der Kesselschleuse

Die Ohnmacht ist aber nicht nur ein Gefühl, das den Einzelnen lähmt, sie droht unserer Gesellschaft den Atem abzuschnüren. Demokratie lebt von dem Versprechen, dass Tätigsein möglich und wirksam ist. Das Staat handlungsfähig ist. Wenn ich daran nicht glauben würde, hätte ich mich nie zur Wahl gestellt und ich denke, dass das vielen Ratmitgliedern genauso geht. Wer nicht spürt, dass er wirksam ist, findet die Welt stumm und grau. Darum gilt es nun nicht mit den immer gleichen Konservenwörten auf die Katastrophen zu antworten und eine Zuversicht aus dem Ärmel zu schütteln, die einem niemand mehr abnimmt.

Demokratie ist nicht wehrlos. Und wenn sie Fehler macht, dann muss Politik, dann muss Demokratie, diese korrigieren. Der Nachweis für die Wirksamkeit von Demokratie ist in diesen Tagen lebensnotwendig. Zügige Entscheidungen in der Migrationspolitik – aber durchdacht und ohne die herausposaunten illusorischen Vorschläge, die nur falsche Erwartungen wecken. Und dass wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt auch weiterhin ehrenwerte Motive eine stärker regulierende oder gar abweisende Zuwanderungspolitik aus ethischen Gründen abzulehnen. Nur sollten wir Regierenden uns klar machen, dass das von der Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr geteilt wird.

Integration – die Lebenswirklichkeit von Menschen findet in den Kommunen statt und ich wünsche mir, dass wir die real existierenden Probleme in Deutschland endlich ernsthaft diskutieren und zu sachlichen Lösungen kommen, um weitere unnötige Opfer zu verhindern und unsere Demokratie zu schützen. Denn unser Gedenken am heutigen Tag ist Mahnung und Verpflichtung an jeden einzelnen von uns. Wir dürfen Frieden und Freiheit nicht für selbstverständlich halten. Wir dürfen nicht vergessen und müssen die Werte unserer freien Gesellschaft verteidigen. Jede und jeder von uns muss alles dafür tun. Das sind wir schuldig – unserer Nachwelt, unseren Vorfahren, unserem Emden und uns selbst. Wenn wir heute der Opfer gedenken, dann tun wir das in dem festen Willen, nie wieder jenes Gedankengut zuzulassen, dass so viel Leid über unsere Welt und Emden Zerstörung brachte.

Meine Damen und Herren, mein Dank gilt allen, die hier in Emden unermüdlich mithelfen, die Erinnerung lebendig zu halten und die diese Veranstaltung möglich gemacht haben – und die sich zugleich denen entgegenstellen, die diese Erinnerung missbrauchen wollen, um neuen Hass und neue Ressentiments zu schüren. Lassen Sie uns den Weg der Versöhnung weitergehen. Lassen Sie uns gemeinsam Verantwortung übernehmen für Frieden und Freiheit. Und lassen Sie uns die Würde eines jeden einzelnen Menschen schützen. Bleiben wir wachsam.