Eine sehr persönliche Leichenpredigt

Aurich. In der Reihe der Landschaftsbibliothek „Buch des Monats“ stellt deren Leiter, Dr. Heiko Suhr, für den August ein schmales Bändchen vor: „Rede zur Gedächtnißfeyer des verewigten Grafen E. M. zu Inn- und Knyphausen – nebst einigen geschichtlichen Denkwürdigkeiten aus dem Leben Desselben“, von Gerhard Heinrich Leding, Norden 1824.

Titel der Leichenpredigt von Gerhard Heinrch Leding. Bilder: Landschaftsbibliothek

Leichenpredigten sind die in Druckform erschienenen Predigten eines Geistlichen bei einer kirchlichen Begräbnisfeier, erläutert Suhr. Sie hätten ihre Blütezeit zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert erlebt – vor allem in protestantischen Gebieten und seien überwiegend für Adelige und das wohlhabende Bürgertum erschienen. „Typisch ist oft ein vorangestelltes Porträt des Verstorbenen als Holz- bzw. später Kupferstich.“ Ein Beispiel dafür – wenn auch in eher bescheidener Ausstattung und ohne Porträt – sei die gedruckte „Rede zur Gedächtnißfeyer“ auf Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen.

Suhr notiert: Vor rund zweihundert Jahren – am 29. Januar 1824 – verstarb Edzard Moritz zu Inn- und Knyphausen auf seinem Grafensitz in Lütetsburg. Er wurde am 10. März 1748 ebenda geboren und trat nach Abschluss seines 1764 begonnenen Studiums in Halle an der Saale als Offiziersanwärter in ein Königlich Preußisches Infanterie-Regiment in Frankfurt an der Oder ein. 1776 nahm Edzard Moritz seinen Abschied und zog auf das ihm von seinem Vater überlassene Gut Visquard, wodurch er Mitglied der Ritterschaft und der Landstände wurde. 1789 erbte Edzard Moritz den sogenannten Familienfideikommiss Lütetsburg, das ist das auch im Erbfall nicht teilbare Vermögen inklusive Grundbesitz einer Familie.

Edzard Moritz Graf zu Inn- und Knyphausen

Als Präsident der Ostfriesischen Landstände (1777 bis 1790 und nach 1815) prägte Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen auch die ostfriesischen Geschicke weit über Lütetsburg hinaus. So geht die 1797 gefallene Entscheidung zur Einrichtung eines Seebades auf Norderney auch auf seinen Einfluss zurück. Gleichzeitig ließ er auf der Insel für sich eine Villa bauen. Noch heute erinnert dort die Knyphausenstraße an sein Wirken.

Über den Trauerredner selbst ist zunächst relativ wenig bekannt. Ausweislich des Titelblatts hat es sich dabei um G. H. Leding, Prediger der vereinigten Lütetsburger-Norder Reformierten Gemeinde, gehandelt. Gerhard Heinrich Leding wurde am 14. Februar 1788 in Visquard in der Krummhörn als Sohn des dortigen Predigers Hinderikus Leding geboren. Nach einem Besuch der Lateinschule in Norden (1805 bis 1807) und einem Studium an der Universität Groningen (1807 bis 1810) wurde er im Dezember 1810 in Woltzeten in der Krummhörn zum Prediger berufen. Am 6. Oktober 1812 heiratete er in Groningen Susanna Elsborg und fand nordöstlich von Groningen im Dörfchen Lutjegast (Gemeinde Grootegast) eine Anstellung als Prediger. 1816 zog die Familie Leding nach Driever um, wo der Vater wiederum eine Anstellung als Prediger fand, aber schon 1820 auf Wunsch Edzard Moritz‘ nach Lütetsburg weiterzog und die reformierte Gemeinde Lütetsburg/Norden übernahm. Gerhard Leding verstarb am 9. März 1832 in Norden.

Das 35 Seiten umfassende Bändchen wurde 1824 bei Johann Friedrich Schmidt gedruckt und gliedert sich in ein Vorwort und die eigentliche Trauerrede. Im Vorwort betont Leding bescheiden, „mehrere Verehrer des Verewigten“ hätten ihn um die Herausgabe der Rede gebeten, er habe den Verstorbenen zwar sicherlich nicht „vollkommen zweckmäßig“ beschrieben, aber auch aus Dank dafür, dass er ihn 1820 als Prediger nach Lütetsburg geholt habe, dem Druck zugestimmt. Das spricht durchaus für eine gewisse Unterordnung des Geistlichen unter die weltliche Herrschaft der Inn- und Knyphausens.

Leding beginnt seine Predigt mit den Klageliedern des Jeremias (V, Vers 16a-17), die das „unglückliche Schicksal seines Vaterlandes und seiner Mitbürger“ behandelten. Am Ende resümiere der Prophet, dass „die Krone unseres Hauptes […] abgefallen“ sei. Dieses Motiv zieht sich als Metapher durch die gesamte Predigt. So ähnlich fühle er sich jetzt durch den Tod des „verehrten“ Grafen zu Inn- und Knyphausen, so der Prediger weiter. In einem äußerst persönlichen Rückblick geht Leding auf die einzelnen Rollen des Grafen als Gatte, Vater, Verwandter und Dienstherr ein, die er alle „mit Verstand und Herz“ gleichermaßen ausgeübt habe.

Typisch für eine Leichenpredigt ist auch die direkte Ansprache der Hinterbliebenen. Leding wandte sich vor allem an die zweite Ehefrau – Gräfin Sophia Charlotte Hedwig von Holstein-Ledreborg – und lobt in diesem längeren Abschnitt in intimen Worten vor allem Graf Edzards Rolle als Ehemann. Der Prediger stellt weiter die zentrale Rolle der Kirche im Leben des Grafen heraus. Die Leichenpredigt endet mit dem Wunsch, dass die Familie die Erinnerung an Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen zu einer Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Ewigkeit transformieren könne.

Dass Trauerreden auch als historische Quelle taugen, sei abschließend erwähnt. Biografisch interessant ist die Tatsache, dass Leding eine neunwöchige schwere Krankheit des Grafen erwähnt, die er aus eigenem Ansehen erlebt haben dürfte, die aber in der Literatur ansonsten weitgehend unerwähnt bleibt. Ebenso ist das Jahr des Studienbeginns abgesehen von den Matrikeln nur in dieser Quelle überliefert. Auffallend ist aber, dass diese biografischen Details in der eigentlichen Trauerrede nicht vorgekommen sind, sondern von Leding dem Predigttext durch Fußnoten beigefügt wurden. Bei der „Rede zur Gedächtnißfeyer“ handelt es sich auch insofern um einen Sonderfall, dass Prediger und Verstorbener sich ungewöhnlich nahe und in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zueinander standen, was wiederum als Spiegel für das Verhältnis von weltlicher Obrigkeit und reformierter Kirche in Ostfriesland zu interpretieren ist.

Die kleine, fast intime und sehr persönliche Leichenpredigt für Edzard Moritz Graf zu Innhausen und Knyphausen verdient daher besondere Aufmerksamkeit und Wertschätzung nicht nur als familiäres Erinnerungsstück, sondern auch als historische Quelle.