In freudiger Gemeinschaft

Emden. Ein Liederabend. Der verläuft erfahrungsgemäß so: Ein Herr oder eine Dame im formellen Gewand lehnen am spiegelblanken Flügel und singen – in nahezu eingefrorener Haltung -, während der Pianist mehr oder weniger steif an den Tasten arbeitet.

Die Begrüßung übernahm der Organisationsleiter der Gezeitenkonzerte, Raoul-Philip Schmidt. Bilder: Karlheinz Krämer

Die Realität beim 27. Konzert der Gezeiten am Montag (24. Juni) in der Neuen Kirche zu Emden sah gänzlich anders aus. Zu Gast waren Julian Prégardien und Daniel Heide, der eine mit hochgekrempelten Hemdsärmeln, der andere im Jackett, aber beide sehr locker. Sie durchschreiten schnell den Kirchenraum, steigen aufs Podest und legen los.

Die Texte von Wilhelm Müller zu „Die schöne Müllerin“ mögen verspielt, manchmal etwas kitschig oder überzogen sein – was Schubert daraus gemacht hat, ist feinstes romantisches Ton- und Sangesmaterial. Beides folgt einer Handlung, beschreibt Höhen und Tiefen einer Liebe, Wehmut und Verzweiflung. Denn die verehrte junge und schöne Müllerin wendet sich schließlich einem anderen Mann zu – und der Verehrende setzt sein Leben in einem Bach ein Ende.

Prégardien und Heide formen daraus quasi eine Oper. Der Tenor mit seiner warmen, wandlungsfähigen Stimme bleibt nicht beim interpretierenden Singen, was an sich schon eine unglaubliche Faszination hat, er ist zudem in Bewegung – löst sich von seinem festen Standort, läuft herum, sitzt beim Pianisten auf dem Hocker, bleibt hinter diesem stehen. Dazu kommen vielerlei kleine Bewegungen, die den Ausdruck verstärken. Mal scheint Prégardien in sich versunken, als hielte er mit sich selber Rücksprache, dann wiederum singt er das Publikum direkt an, blickt in eine imaginäre Ferne, konzentriert den Blick auf einen Punkt. Kurz: Es ist einiges los auf dem Podium.

Dazu kommt ein Pianist, der in feinster Abstimmung mit dem Sänger agiert. Was Daniel Heide leistet, ist phänomenal. Er scheint jede sangliche Regung passgenau zu spüren und mit absoluter Perfektion instrumental abzugleichen. Dabei geht es manchmal nur um eine Note, um eine bestimmte Betonung, um eine Schwerpunktsetzung. Aber zwischen Prégardien und Heide stimmt nicht nur die Chemie, sondern auch das Timing.

Zwei Künstler – gesehen durch einen der großen Leuchter der Neuen Kirche

Dritter Faktor ist das Klavier. Der im ehemaligen Neuen Theater ausgemusterte Steinway, den Klavierstimmer Tamme Bockelmann intoniert hat, erweist sich für den Liederzyklus als angenehm ausgeglichener, sonorer Partner – bereit, bei der Schaffung eines kleinen Gesamtkunstwerks sein Bestes zu geben.

Zum Schluss macht sich in der Neuen Kirche ein Glücksgefühl breit – über eine Darbietung, die bei aller inneren Dramatik letztlich doch eine blendend schöne Harmonie verbreitet. Alle Teile passen zusammen und finden in freudiger Gemeinschaft zusammen. Mit zum Erfolg trägt ein Publikum bei, das begeisterungsfähig auf ein Angebot reagiert, das es so schnell wohl nicht wieder geben wird. Wenn Liedgesang eine besonders elegante Stellung in der Breite musikalischer Gattungen einnimmt, so dürfte er an diesem Abend viele neue Freunde gefunden haben.