Ein inniges und tiefes Bekenntnis

Freepsum. Diesmal kein Gitarrenkonzert, sondern Theater im Kultur-Gulfhof in Freepsum. Und dann gleich eine Geschichte, die einen der bekanntesten Theologen und Widerstandskämpfer in den Mittelpunkt stellt: Dietrich Bonhoeffer (1906 bis 1945) Der verlobte sich 1943 mit Maria von Wedemeyer (1924 bis 1977) aus Pätzig in der Neumark. Die Verlobungszeit beginnt quasi mit der Inhaftierung Bonhoeffers, so dass die beiden eine zweijährige „Fernbeziehung“ führen, die mit der Ermordung Bonhoeffers im KZ Flossenbürg endet. Was haben die beiden Menschen in dieser Zeit gefühlt, gedacht, gehofft, erlitten? Aber auch: verändert sich der theologisch-ethische Anspruch Bonhoeffers in dieser beklemmenden Situation? Immerhin war Bonhoeffer Mitglied der Bekennenden Kirche und opponierte schon früh gegen Hitler.

Im Konzentrationslager. Maria von Wedemeyer darf Dietrich Bonhoeffer alle zwei Wochen besuchen. Bilder: Wolfgang Mauersberger

In dem musikalischen Schauspiel zeigten Deborah Bühlmann, die das Stück auch geschrieben hat, und Samuel Jersak, wie man auf kleinstem Raum, aber mit einem hohen emotionalen Potential auf die Bühne bringen kann, was sich damals, zwischen 1943 und 1945, vermutlich abspielte. Denn die Geschichte zwischen den beiden wurde erst aufgrund der Veröffentlichung der sogenannten Brautbriefe, die zwischen den beiden hin und her gingen, wirklich bekannt. Diese Briefe sind auch – in freier Form – Grundlage der theatralen Umsetzung. Die karge Bühnenausstattung war dabei nicht nur als ein Zeichen für das nahende Ende (des Krieges, des „Reiches“ und des Lebens Bonhoeffers) zu deuten, sondern stand auch für eine symbolische Innenschau. Denn die Situation der beiden ist einigermaßen trostlos.

Die damals 19-jährige Maria trifft am Bett der erkrankten Großmutter auf den 37-jährigen Bonhoeffer und verfällt umgehend in eine schwärmerische Leidenschaft für den reifen Theologen, der ihr, wie sie selber bekundet, Sicherheit und Stabilität gibt.

Ein ganz ausgezeichneter Pastor Dietrich Bonhoeffer: Samuel Jersak

Das, was Deborah Bühlmann und Samuel Jersak da auf die Bühne im Kultur-Gulfhof Freepsum brachten, war ein psychologisches Spiel, in dem die beiden Personen einen quasi inneren Monolog zumeist in Selbstgesprächen umsetzen. Die Berner Formation „duett zu dritt“ konnte sich dabei auf ein Klavier als drittes Element stützen. Jersak ist Musiker, Pianist, Komponist und Produzent. Dass er sein Handwerk beherrscht, bereicherte als eindrucksvolle musikalische Interpretation das Spiel der Worte. Es war Musik, die sich an der jeweiligen Stimmung des Geschehens orientierte – zwischen wenig Dur und sehr viel Moll, das in den schwärzesten Momenten in abgrundtiefe Kakophonie abglitt.

Singen können sie beide: Deborah Bühlmann und Samuel Jersak auf der Bühne

Was da zwischen Maria und Dietrich gesprochen wird, zeugt von inniger Liebe. Doch schleichen sich Momente ein, die dem Altersunterschied und den unterschiedlichen Lebensauffassungen entspringen. Da ist eine Szene, in der Maria ihn im Gefängnis besucht. Sie ist da noch hoffnungsvoll und versichert ihm, dass er trotz des Gefängnisaufenthaltes ihre Sicherheit sei. Er, dem inzwischen immer öfter als Zeichen seiner inneren Unsicherheit – die im Kampf liegt mit dem Willen, seinen Widerstand aufrecht zu erhalten – die Hände zittern, sieht sie in der klassischen Rolle der Hausfrau und Pastorengattin. Eine verstörende Szene.

Wunderbar ist die Verwandlung der Maria dargestellt. Sie, die während sie von ihrer Liebe spricht, Origami-Vögel faltet, legt diese „an die Leine“, befestigt sie mit Wäscheklammern an Stäben und zeigt so – wiederum symbolisch – die widerstreitenden Momente von Freiheit und Gefangenschaft. Sie reift in diesen zwei Jahren zu einer Frau, die ihre Entscheidung wehmütig, aber doch entschieden überdenkt. Sie fühlt sich überfordert, den im Gefängnis einsitzenden Pastoren regelmäßig zu besuchen und sich jedes Mal neu emotional zu engagieren.


Wie der Leiter des Kultur-Gulfhofes, Holger Rodiek, im Vorfeld erläuterte, wird Maria von Wedemeyer emigrieren, heiratet in den Vereinigten Staaten zwei Mal, lässt sich zwei Mal wieder scheiden, macht sich als Informatikerin und Managerin einen Namen, stirbt dann aber schon mit 53 Jahren an Krebs.

Resümee: Die Geschichte war ganz ausgezeichnet und schlüssig aufgearbeitet. Die beiden Schauspieler stellten ihre Rollen mit viel Einfühlungsvermögen dar. Die Musik fügte ausgezeichnete Akzente hinzu. Wenn es etwas anzumerken gibt, dann dies: Als das Ende kommt, schreibt Bonhoeffer einen Brief an Maria und zitiert dabei sein Weihnachtsgedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – ein inniges und tiefes Bekenntnis an alles das, wofür er steht, und was er glaubt. Samuel Jersak singt und spielt das ganz wunderbar. Als er endet, ist es lange still im Saal. Die Botschaft – Bonhoeffer zweifelt, aber letztlich bleibt es sich selber treu – ist angekommen. Es gibt Applaus, die Spieler nehmen ihn entgegen. Doch dann geht es überraschend weiter.

Gespräche nach der Aufführung: Hier redet Deborah Bühlmann mit Besuchern der Vorstellung. Den Verlobungsring Dietrich Bonhoeffers trägt sie noch am Finger

Deborah Bühlmann liest noch einen Bonhoeffer-Text, und Jersay endet mit einem jazzigen Beitrag auf dem Klavier. Und eben dieser Moment entzaubert die so sorgsam über eineinhalb Stunden aufgebaute Dramaturgie. Das ist schade, denn der erste Schluss war stark und kraftvoll. Da bedurfte es keiner weiteren Zutat, selbst wenn diese – wie eine Besucherin vermutete – lediglich dazu eingefügt war, um ein erwünschtes Nach-Gespräch mit den Zuhörern zu erleichtern.